Sanierung eines Bürgerhauses

Stadt Idstein, Rheingau-Taunus-Kreis

Baugeschichte:

Das laut Inschrift um 1596 erbaute Patrizierhaus wurde wohl von sehr vermögenden Bauherren errichtet. Darauf weist neben der prominenten Lage am Schnittpunkt von Kaffee- und Obergasse auch die sehr repräsentative Gestaltung des stattlichen Gebäudes hin. Einen einschneidenden Umbau erfuhr das Haus 1784, aus dessen Zeit sich im Inneren der spätbarocke Charakter bis heute weitgehend originalgetreu erhalten hat. In dieser Zeit wurde auch eine Vergrößerung der Fenster im Obergeschoss vorgenommen, wobei große Teile des ursprünglichen Renaissance-Fachwerkes entfernt wurden.

Um 1903 erwarb der Tünchermeister Friedrich Winkler das Haus, dessen Malerhandwerk über fünf Generationen bis 1996 betrieben wurde. Das linke Bild zeigt das Gebäude um 1913 mit verputztem Obergeschoss. Neuere Fotografien zeigen dagegen das Obergeschoss in Fachwerk. Allerdings wurde die Putzfassade lediglich in romantischer Gesinnung mit einem Fachwerkimitat bemalt. Es liegt nahe, dass Friedrich Winkler das Aufmalen des Fachwerks selbst vorgenommen hat. Er folgte dabei seiner freien Phantasie, wobei die „Schmuckformen“ den barocken Fensteröffnungen angepasst und untergeordnet wurden. Dadurch bot sich dem flüchtigen Betrachter die perfekte Täuschung eines ungestörten Holzgefüges. Um 1992 erfolgte schließlich eine komplette Freilegung des vorhandenen Fachwerks.

Baubeschreibung:

Das reiche Schmuckfachwerk der Giebel mit seinen Flachschnitzereien und der vielgestaltigen Brüstungsornamentik steht in eigentümlichem Gegensatz zum massiven, mit Fugenschnitt verputzten Erdgeschoss. Die bauzeitlichen Sandsteingewände der Fenster enthalten noch barocke Fensterflügel, die vermutlich der Umbauphase von 1782 zuzuordnen sind. Das profilierte Türgewände erhält das Datum 1596, darüber erinnert eine Marmortafel an den Umbau von 1782.

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Sanierungsanlass:

Unsachgemäße Reparaturen der Vergangenheit führten durch übermäßige Farbaufträge, kassettenartig vorstehenden Zementputzgefache und Holzersatz durch Silikone, Spachtelmassen und aufgenagelte Brettchen zu schwersten Fäulnisschäden, welche eine grundlegende Fachwerkinstandsetzung erforderlich machten. Allein an den beiden abgängigen Schweifgiebeln mussten etwa 2/3 der Holzsubstanz komplett ausgetauscht werden.

Sanierungskonzept:

Eine Instandsetzung des vorhandenen Sichtfachwerkes im Obergeschoß hätte einen baulichen Zustand konserviert, den das Gebäude in seiner Geschichte niemals besessen hatte. Im Einklang mit den Denkmalfachbehörden war daher die Wiederherstellung der barocken Umbauphase von 1784 mit verputztem Obergeschoss geboten. Dies war die einzige Epoche, welche aufgrund gesicherter Befunde zweifelsfrei belegt werden konnte.

Bei den 1784 erfolgten Fenstervergrößerungen wurden wichtige Schmuckformen sowie Streben und Pfosten entfernt oder umgesetzt, die Riegelreihen in ihrer Höhe verändert und das Profil der Schwellen für den Verputz abgebeilt. Die Veränderungen im Holzwerk wurden aus rein konstruktiven Erwägungen heraus vorgenommen, sodass die Fassade ihre ursprüngliche künstlerische Ausstrahlung verloren hatte. Als Übergang zum verputzten Erdgeschoss mit seinem charakteristischen Fugenschnitt wurde jedoch -ganz im Sinne des Barock als Zeitalter der Täuschung- eine neue Steinschwelle mit reicher Profilierung angebracht, um dem Verputz Rahmen und Fassung zu geben.

Foto links: www.goebel-publikationen.de

Beim Neuverputz blieben analog dem früheren Zustand die geschnitzten Eckständer sowie die profilierte Schwellen- und Rähmzone sichtbar. Die Fenster wurden repariert und in ihrem vorgefundenen Zustand als einfachverglaste Flügelfenster belassen, da es sich hier um sehr gute Nachbildungen der barocken Fenster mit schmalen Profilen und echtem „Wackelglas“ handelte. Die originalen Fensterbekleidungen wurden repariert. Nach Fertigstellung erhielt die Fassade wieder ihre ursprünglichen Schlagläden, welche auf dem Speicher geborgen und aufgearbeitet wurden. Fenster und Schlagläden erhielten eine neue Farbfassung mit Leinölfarben.

Die detailgetreue Rekonstruktion der beiden Schaugiebel wurde unter streng denkmalpflegerischen Gesichtspunkten durchgeführt. Das Schnitzwerk der Schweifgiebel wurde detailgenau wiederhergestellt. Selbstverständlich kam hier nur altes Eichenholz aus Zweitverwendung zum Einsatz, welches in alter Zimmerertechnik mit Schlitz, Zapfen und Holznagelverriegelung abgebunden wurde. Die aus einem Stück gearbeiteten Brüstungstafeln am Giebel zur Obergasse wurden anhand der Befunde rekonstruiert. Das Holzwerk erhielt einen Anstrich mit Leinölfarbe, die Gefache wurden mit Strohlehmsteinen ausgemauert und mit einem reinen Kalkputz verputzt.